Das Textkorpus
Das der Datenbank zu Grunde liegende Textkorpus ist sehr umfangreich. Es konstituiert sich aus fiktionalen Werken und aus Narrativen, die einen Referenzanspruch erheben: Bürgerkriegsromane, Grenzgänger, die zwischen Autobiographie und Fiktion changieren, Zeitzeugenberichte und Selbstzeugnisse. Wir behandeln diese unterschiedlichen Textsorten als Repräsentationsformen eines kollektiven Traumas.
Während der deutschen Besatzung (1941-44) kam es ab 1943 zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden politischen Gruppierungen. Nach dem Abzug der Deutschen und mit der Rückkehr der Exilregierung entstanden neue Anlässe für gewaltsame Auseinandersetzungen: Der linke Widerstand forderte eine Reorganisation der Staatsform und befürchtete, dass der deutschen Besatzung eine britische folgte. So kam es zu einem erneuten Ausbruch bürgerkriegsartiger Gewalt im Dezember 1944 in Athen. Der eigentliche Bürgerkrieg fand zwischen 1946 und 1949 statt. Die daraus resultierende gesellschaftliche Spaltung in Rechte und Linke, in Sieger und Besiegte, reicht latent bis ins 21. Jahrhundert: Politische und soziale Umstände führen immer wieder zu neu entfachten Erinnerungskriegen, die Begriffe „links“ und „rechts“ sind emotional stark besetzt, unverarbeitete traumatische Erfahrungen werden an die nachfolgenden Generationen weitergegeben.
Die narrative (Re)Konstruktion der konfliktreichen 1940er Jahre setzte zeitnah zu den historischen Ereignissen ein und entwickelte sich zu einem dynamischen Erinnerungsdiskurs, der bis in die unmittelbare Gegenwart reicht. Zu solchen Narrativen zählen Bürgerkriegsromane, also fiktionale Texte, die von potenziell Trauma auslösenden Situationen im Zusammenhang mit innergriechischen Konflikten handeln, oder in denen psychische und soziale Folgen in der Nachbürgerkriegszeit im Vordergrund stehen. Bürgerkriegsromane wurden sowohl von Autoren der Erlebnisgeneration, die über Primärerfahrungen aus den 1940er Jahren verfügen, als auch von Autoren der Generation der Nachgeborenen, die keine direkten Erfahrungen und Erinnerungen an die Zeit haben, verfasst. Von 1946 bis 2011 sind um die 100 Bürgerkriegsromane erschienen, von denen wir die für unsere Fraugestellung ergiebigsten in die Datenbank aufnehmen. Die Narrative, die sich mit dem Anspruch des autobiografisch Erlebten, somit Authentischen an den Leser wenden, stellen eine sehr umfangreiche und insgesamt heterogene Gruppe von Texten dar. Bei einigen wenigen handelt es sich um erzählerische Konstrukte, in denen traumatische Erfahrungen mit Mustern der Fiktion oder der Autofiktion verarbeitet werden. Von diesen Texten sind uns rund 250 durch Autopsie und Lektüre bekannt. In die Datenbank wird eine Auswahl davon aufgenommen.